Renaturierung eines Altrheinarms | A 643 Neubau Schiersteiner Brücke
- Geisenheim
Renaturierung eines Altrheinarms

Der Anlass
Die geplante Altrheinarmrenaturierung in der Rheinaue bei Geisenheim stellt eine landespflegerische Kompensationsmaßnahme für den sechsstreifigen Ausbau der BAB A 643 zwischen dem Autobahndreieck Mainz (A 60) und dem Autobahnkreuz Wiesbaden-Schierstein (A 66) mit Neubau der Schiersteiner Rheinbrücke dar.
Die Geschichte
In den Rheinwiesen zwischen Oestrich-Winkel und Geisenheim befindet sich ein ehemaliger Rheinarm, der durch Buhnenbau im 19. Jahrhundert Land wurde. Der Rheinarm wurde im Zuge der Rheinausbaggerung "Binger Loch" mit dem dort anfallenden Material großflächig verfüllt. Hierdurch wurde die ehemalige Insel "Schönborn'sche Aue", die heute von Kleingärten und landwirtschaftlicher Nutzfläche geprägt ist, an das Geisenheimer Rheinufer angebunden.
Das Leitbild
Vorgesehen ist eine Reaktivierung des ehemaligen Altrheinarms durch Ausbaggerung eines neuen Flussbetts mit angrenzender Aue. Hierdurch entstehen Vernässungsbereiche, in denen sich angrenzend an das Flussbett eine auetypische Vegetation durch natürliche Sukzession entwickeln wird. Im Vordergrund stehen dabei die Stärkung und Wiederbelebung der natürlichen auendynamischen Prozesse. Gleichzeitig erfolgt eine Aufwertung des Flusssystems Rhein gemäß den Vorgaben und Zielen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie.
Das Konzept
Die Planung sieht die Anlage eines dauerhaft durchströmten 1,2 km langen Altarmbetts vor, das über einen Zu- und Ablauf an den Rhein angeschlossen wird. Das Bett wird mit einer Sohlbreite von 6 m in gleichmäßigem Sohlhöhengefälle vom Zulauf bis zur Rheinmündung geführt und ist gegenüber dem derzeitigen Niveau um 3 – 4 m eingetieft. Zum Schutz vor unerwünschten Eintiefungen wird die Sohle des Einlaufquerschnitts mit einer Spundwand gesichert. An das Altarmbett schließt sich eine Innenböschung mit einer Höhe von 1,4 m und einer initialen Böschungsneigung von 1:2 an. Diese Flächen werden häufig überflutet sein, so dass sich hier eine Röhrichtzone entwickeln wird. An die Innenböschung schließt sich eine bewaldete Aue mit wechselnden Breiten zwischen 25 und 75 m an. Diese Aue ist nochmals je nach Höhenlage und damit verbundener Überflutungshäufigkeit in eine Weichholzaue, eine Übergangszone und eine Hartholzaue untergliedert. Der erforderliche Aushub beläuft sich auf insgesamt 100.000 m³, der zur Verfüllung am Autobahnkreuz Schierstein im Rahmen o.g. Baumaßnahme verwendet wird. Durch die Anlage des Altrheinarms ändert sich das Überflutungsregime der betroffenen Flächen. Während das Altarmbett permanent Wasser führt, kommt es im Bereich der Röhrichtzone an mind. 180 Tagen im Jahr zu Überflutungen. Die Weichholzaue, die sich an die Röhrichtzone anschließt, wird an 100 – 180 Tagen unter Wasser stehen und in der Übergangszone liegt die Überflutungshäufigkeit bei > 50 Tagen. Die höher gelegene Hartholzaue wird an maximal 50 Tagen überschwemmt sein.
Angestrebt wird die Entstehung eines natürlichen Auwalds, der in der Rheinaue des Mittelrheintals heute nur noch an wenigen Stellen zu finden ist. Auf eine Bepflanzung wird bewusst verzichtet, um der Natur Raum zur Regeneration zu geben. Aufgrund der geschaffenen Standortvoraussetzungen wird sich eine standortgerechte Auenvegetation durch natürliche Sukzession einstellen. Vorgesehen sind allenfalls einzelne Initialpflanzungen. Die Aue wird sich in ihrer Entwicklung somit weitgehend selbst überlassen. Zur Anbindung der Schönborn'schen Aue, die durch die Anlage des Altrheinarms wieder zur Insel wird, sind zwei Brückenbauwerke notwendig. Die Leinpfadbrücke am Auslauf wird für eine Achslast von mindestens 10 t ausgelegt und bindet das Kleingartengelände und die landwirtschaftlichen Nutzflächen an. Da der Leinpfad als Rad- und Gehweg den Altrheinarm kreuzt, ist eine weitere Brücke in Form eines Fußgängerstegs vorgesehen. Beide Brücken sind als 1-Feld-Bauwerke geplant. Um sie optisch ansprechend zu gestalten und in das landschaftliche Umfeld einzubinden, werden die Spundwände der Widerlager mit einer Vorsatzschale aus Beton und einer Strukturmatrize mit Natursteinoptik versehen. Als weitere funktionale Erfordernisse sind eine bestehende Regenwasserleitung sowie eine Mischwasserleitung zu beachten, die den geplanten Altrheinarm queren. Außerdem ist eine Feuerwehrzufahrt von der angrenzenden Bundesstraße B 42 in das Gebiet der Schönborn'schen Aue neu zu planen. Der Altrheinarm mit angrenzender Aue stellt den ursprünglich hier vorhandenen und natürlich entstandenen Zustand im Flusssystem des Rheins wieder her. Er passt sich nahtlos in die umliegenden, extensiv gepflegten Wiesenbereiche mit Gehölzbeständen ein. Eine Allee aus alten Pappelbeständen, die den Verlauf des ursprünglichen Altarms markiert, wird in das Konzept integriert und bleibt erhalten. Über den stark frequentierten Rad- und Gehweg, der durch das Planungsgebiet verläuft und den Altarm quert, ist eine gute Erlebbarkeit der renaturierten Flächen gewährleistet. Die Bürger können vom Leinpfad aus eine naturnahe Auenlandschaft erleben, wie sie im Mittelrheintal kaum noch vorhanden ist.
Der Projektstand
Für das Projekt liegt ein Planfeststellungsbeschluss vor. Als Bauzeit ist ein Zeitraum von einem Jahr vorgesehen, mit dem Bau wurde Ende 2013 begonnen.
Die Zusammenarbeit
Die Planung wurde von einem interdisziplinären Arbeitskreis aus Mitgliedern der Oberen Naturschutzbehörde, der Oberen Wasserbehörde, der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Südwest, der beauftragten Planungsbüros, von Hessen Forst sowie von Hessen Mobil begleitet. Da zur Planung Fachwissen aus unterschiedlichsten Disziplinen wie Landespflege, Wasserbau und Brückenbau benötigt wurde, erfolgte eine enge Kooperation. Auftraggeber und Planungsbüros verschiedener Fachdisziplinen stimmten sich auf regelmäßigen Arbeitsterminen untereinander ab und stellten die erarbeiteten Konzepte anschließend dem o.g. Arbeitskreis zur Diskussion vor. Da die Altrheinarmrenaturierung einen Ausgleich für Eingriffe in ein europarechtliches Schutzgebiet im Rahmen des Ausbaus der A 643 darstellt, musste weiterhin die Zustimmung der EU eingeholt werden.
Besondere Bedeutung kommt der Akzeptanz des Projektes durch die Bürger zu. Daher wurden die betroffenen Gebietskörperschaften ebenfalls von Anfang an in den Planungsprozess integriert. Das Vorhaben wurde mit den Trägern öffentlicher Belange sowie privaten Betroffenen in einem mehrtägigen Erörterungstermin diskutiert und im Dezember 2011 planfestgestellt.
Neue Wege
Von Anfang an wurde Wert auf einen ganzheitlichen Lösungsansatz gelegt. Durch die geplante Altrheinarmrenaturierung wird zum einen der naturschutzfachliche Eingriff durch den geplanten Ausbau der A 643 mit dem Neubau der Rheinbrücke Schierstein ausgeglichen und eine großräumige Stärkung des kohärenten europäischen Schutzgebietsnetzes NATURA 2000 erreicht. Gleichzeitig wird eine Verbesserung für das Abflussregime des Rheins durch Reduzierung von Hochwasserspitzen rheinabwärts erzielt, die Maßnahme setzt darüber hinaus die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie (u.a. Reaktivierung von Auegewässern, Stärkung der auendynamischen Prozesse) 1:1 um. Die Schaffung eines neuen Altrheinarms stellt eine Bereicherung für das Landschaftsbild dar und trägt zu einer Erhöhung des Erholungswertes in der Rheinaue bei. Der durch das Gebiet verlaufende Leinpfad gewinnt hierdurch an Attraktivität im Rahmen der Freizeit- und Erholungsnutzung. Es handelt sich bei dem vorgestellten Projekt somit um eine Maßnahme, von der nicht nur die Natur sondern viele Seiten profitieren.
Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit
Durch die Schaffung der hydrogeologischen Standortvoraussetzungen wird die Entstehung einer typischen Aue mit Röhrichtbeständen, Weich- und Hartholzaue im Rahmen der natürlichen Sukzession initiiert. Die Sukzession stellt sicher, dass sich die charakteristischen Auwaldarten an ihren natürlichen Standorten ansiedeln und in den Randbereichen in enger Verzahnung mit den Baumarten der angrenzenden Waldbestände vorkommen. Da sich das ökologische Gleichgewicht mit der jeweiligen Vegetationsentwicklung im Laufe der Zeit von selbst einstellen und entwickeln wird, sind die Unterhaltungs- und Pflegekosten gering. Somit ist auch eine ökonomische Nachhaltigkeit gegeben. Durch die Kappung von Hochwasserspitzen werden zudem Kosten, die für Unterlieger durch Hochwasserschäden entstehen, dauerhaft gesenkt. In der renaturierten Aue wird das natürliche Hochwasserregime des Flusslaufs wieder erlebbar, gleichzeitig steigt der Freizeit- und Erholungswert der Fläche dauerhaft.
Kontakt
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